Interview mit Wolfgang Pinner

Wolfgang Pinner
Auf einen Cappuccino mit...

„Verschlechtert sich ein ESG-Score, dann müssen wir direkt reagieren."

Wolfgang Pinner ist seit fast vier Jahren bei Raiffeisen Capital Management und dort Leiter des Teams für nachhaltige Investments. Pinner hat sich erstmals vor 15 Jahren mit dem Thema Nachhaltigkeit beschäftigt und 2003 den ersten Fonds mit nachhaltigen Investments gemanagt. Er verfügt folglich über viel Erfahrung mit dem Themenkreis und hat sich hier bereits frühzeitig als Buchautor betätigt. Im Gespräch skizziert Pinner, wie eine Aktie in das Fondsportfolio wandert und was es mit dem ESG-Momentum auf sich hat.

Woran scheitern viele semi-institutionelle Anleger, ihr Kapital nachhaltig zu veranlagen?
Wolfgang Pinner: In meinen Augen scheitern viele vermutlich daran, sich eingehend mit dem Thema auseinanderzusetzen und auch zu erkennen, dass ein möglichst großes Anlageuniversum auch zu besseren Anlageentscheidungen führt. Die Frage ist, ob die Verkleinerung des Anlageuniversums aus nachhaltigen Gesichtspunkten heraus Sinn ergibt oder nicht und ob man starre Haltungen aufzugeben bereit ist. In meinen Augen lässt sich jeder überzeugen, dass bestimmte Titel begründbar nicht investierbar sind.

Wie kommen Sie nun auf Ihre Anlageideen?
Pinner: Wenn wir ein Portfolio gestalten, dann müssen die Investments bzw. die dahinter stehenden Unternehmen Nachhaltigkeit leben und insgesamt verantwortungsvoll aufgestellt sein. Was heißt das für uns? Wir suchen externe Partner, die uns Daten liefern und die uns die Verantwortungsdimension abdecken. Außerdem sollten sie uns die Daten rund um die Risikodimension liefern. Hier geht es dann vor allem darum, ob ein Geschäftsmodell zukunftsfähig ist, denn wenn es das nicht ist, resultiert hieraus das eigentliche Risiko für einen Aktienbesitzer. Ein wichtiger Faktor ist dann noch das, was wir selber beisteuern, basierend auf objektiven Informationen von extern. Hierüber stoßen wir dann durchaus auch noch einmal auf Ideen, die unser Grobuniversum erweitern. Über das Detailresearch wollen wir ferner grundlegend Wissen über einen Sektor erlangen und darüber dann auch Ideen für unser Anlageuniversum generieren – indem wir mit einzelnen Unternehmen sprechen und hier tiefergehend Informationen sammeln. Erst wenn wir hier ein belastbares Setup haben, greifen wir auf finanzielle Daten von Unternehmen zurück, wobei wir hier stark auf die Unternehmenskontakte setzen. In der Regel haben wir rund 200 Unternehmenskontakte pro Jahr. Was wir dann machen ist, sämtliche Informationen in einem eigenen Raiffeisen ESG-Score zu verdichten. Hier laufen die Research-Datenpunkte zusammen, auf deren Basis die Entscheidungen bei den Einzeltiteln getroffen werden.

Wie gehen Sie mit kontroversen Branchen wie der Rüstungsbranche um? Hier gibt es durchaus Adressen die sagen, Rüstungskonzerne tragen zur nachhaltigen Stabilisation des Friedens in Europa bei, daher gehören sie durchaus in den Ideenpool. Wie sehen Sie das?
Pinner: Das Thema Rüstung und die nachhaltige Sicherung des Friedens in Europa stellen interessante Diskussionspunkte dar. Aus meiner Sicht wird der Frieden in Europa durch die atomare Rüstung gesichert, ein konventioneller Konflikt dürfte in Europa mittlerweile eher unwahrscheinlich sein. Dementsprechend existiert eine Patt-Situation zwischen den geopolitischen Mächten. Dazu ist die EU eine Friedensunion, auch wenn viele kritisieren, dass sie bei vielen sicherheitspolitischen Entwicklungen zu langsam und zu vorsichtig agiert. Insofern kann ich den Gedanken nachvollziehen, zumal die Branche als solche relativ gesehen sehr gut läuft. Aber das trifft für viele Branchen zu, in unseren Augen gibt es aber genug andere Branchen und Unternehmen, die an anderen Megatrends als der Rüstung partizipieren. Rüstungsunternehmen sind problematisch, weil ich die Risikodimension kritisch sehe. Es gibt Aspekte, die bei Rüstungsunternehmen schwer kalkulierbare Risiken beinhalten, die den Bestand des Unternehmens bedrohen. Das ist bei Tabakwerten auch so, wenn zum Beispiel eines Tages die Mehrheit der Raucher feststellt, dass sie von der Industrie getäuscht wurden. Dann bestehen plötzlich ob der wahrscheinlichen Klagen immense Existenzrisiken für diese Branche. Für den Rüstungsbereich sind solche Risiken jedoch schwer einzuschätzen, weshalb wir sie kritisch sehen.

Bleiben wir beim Risiko, beim Risiko für den Fonds. Dieses besteht ja vor allem darin, dass sich der ESG-Score verschlechtert und Sie hierauf reagieren müssen. Oder wie sieht das Risikomanagement im Fonds aus?
Pinner: Auf der einen Seite fordern wir ein Mindestmaß an Nachhaltigkeit ein, und zwar für beide Dimensionen, also jene der Stakeholder und auch jene des Risikos. Würden Unternehmen unter diesen Levels liegen, fallen sie aus unserem Universum von vorn herein heraus. Für uns ist dann vor allem das Nachhaltigkeitsmomentum ein wesentlicher Faktor, über das wir bestimmte Risiken ausschließen können. Der ESG-Score kann sich negativ oder nur moderat positiv entwickeln, dann würden wir die Titel entweder nicht ins Portfolio nehmen oder überlegen, sie aus dem Portfolio zu entfernen. Wir müssen also betrachten, wie dynamisch sich der ESG-Score entwickelt, in welche Richtung er läuft. Das ESG-Nachhaltigkeitsmomentum ist daher eine eminent wichtige Information, die wir auf Monatsbasis jeweils neu berechnen. Wir erhalten damit regelmäßig eine aktualisierte Bewertung. Verschlechtert sich ein ESG-Score, dann müssen wir das genau analysieren oder direkt reagieren. Bevorzugt werden aber natürlich solche Unternehmen, deren ESG-Score dauerhaft hoch bleibt oder sich permanent verbessert. Meldet ein Unternehmen Ad-Hoc etwas, was den ESG-Score sofort tangiert, dann reagieren wir auch schon einmal innerhalb des Monats und desinvestieren. Das hat auch damit zu tun, dass wir jegliches Reputationsrisiko vermeiden wollen.

Disziplin ist hierbei ein hohes Gut.
Pinner: Sobald wir das ESG-Momentum fallen oder steigen sehen, fragen wir bei den Researchpartnern augenblicklich nach dem Warum dieser Bewegung. Auch wollen wir von den Unternehmen selbst wissen, warum dieses oder jenes passiert ist. Wir nehmen Informationen nicht einfach hin sondern haken aktiv nach. Das verlangt Disziplin, genauso aber auch das Reagieren im Portfolio.

Strengen Sie eigentlich einen Abgleich mit den Sustainable Development Goals (SDGs) der Vereinten Nationen an?
Pinner: Also wir sehen das Thema als wichtig an und haben in einem ersten Schritt alle Portfoliounternehmen angeschrieben mit der Bitte uns zu beschreiben, inwiefern bzw. bei welchen SDGs sie relevante Anstrengungen unternehmen. Das war eine Momentaufnahme, aus der heraus wir auch erfahren wollten, wo die Unternehmen etwas leisten wollen. In einem zweiten Schritt überlegen wir jetzt, wie wir das Thema SDGs noch stärker ins Fondsmanagement einbinden können.

In welchem Anlageuniversum bewegen Sie sich?
Pinner: Unser Universum ist ein globales, umfasst den MSCI World. Mittlerweile werden auch Emerging Markets-Indizes mit berücksichtigt, jedoch werden diese nicht im Nachhaltigkeits-Mix investiert. Diese Märkte haben ein enormes Potential, in vielen Ländern kommen wir aber mit vielen unserer Kriterien nicht so einfach zu den notwendigen Informationen. Das Thema Nachhaltigkeit ist dort auch im Kommen, aber es ist noch nicht so sehr akzeptiert wie in Europa oder den USA. Wir sehen dies übrigens auch beim Blick auf das ESG-Momentum. Es lässt sich festhalten, dass dieses schon in der Tendenz nach oben geht, über alle Märkte hinweg, auch weil die SDGs etwas Druck auf die Unternehmen entfalten. Insgesamt schneidet Europa bezogen auf das ESG-Momentum derzeit am besten ab, gefolgt vom Block der amerikanischen Länder und Japan bzw. den Staaten im Pazifik. Ich kann Ihnen das aus illustrieren. Wenn ich zum Beispiel mit Unternehmen Kontakt aufnehme, dann schreiben wir diesen zunächst eine Mail. Aus Europa wird sehr häufig und sehr ausführlich geantwortet, Deutsche und Franzosen sind hier in unseren Augen Vorreiter. Prinzipiell melden drei Viertel der Unternehmen zurück. Aus den USA sind die Antworten etwas spärlicher, und aus Asien kommt so gut wie gar nichts. In den USA tun sich die Unternehmen schwerer damit, zusätzlich zu den Pflichtveröffentlichungen weiteres Material zur Verfügung zu stellen. Es wird auch oft auf bereits Veröffentlichtes verwiesen, und man wird zu Conference Calls eingeladen.

Wenn wir jetzt noch einmal über das Portfoliohandwerk sprechen. Wie sähe es denn aus, wenn an den Märkten etwas Gröberes passiert?
Pinner: Zunächst einmal ist das Auf und Ab an den Märkten naturgegeben, auch wenn es derzeit so ausschaut, als würden die Märkte nur den Weg gegen Norden kennen. Geschuldet ist dies in meinen Augen der Politik der Notenbanken. Dazu ist zu sagen, dass es angesichts der vielen Untiefen nur schwerlich möglich sein dürfte, den richtigen Zeitpunkt für eine Absicherung zu finden. Entsprechend ist es unser Anliegen, ein langfristig optimiertes Portfolio zusammenzustellen und dieses dann auch durch ein gewisses Auf und Ab gehen zu lassen. Gibt es jedoch eine substanzielle Krise, wie wir sie 2008 gesehen haben, oder ab dem Jahr 2000, oder wenn der atomare Konflikt zwischen den USA und Nordkorea plötzlich nicht mehr nur mit Worten geführt würde, dann würden wir schon absichern. Eine Rezession ist solch ein Szenario nicht, hier würden wir davon ausgehen, dass das Portfolio sich immer noch besser als der Markt schlagen dürfte.

Wobei dies eine Annahme ist und besser als der Markt immer noch Verluste im Portfolio bedeuten könnte.
Pinner: Wir versuchen, den Markt optimal abzudecken, über Einzeltitel und entsprechend über Branchen, mit einem entsprechenden Fokus auf nachhaltige Investments. Wir sind keine Markttimer, es ist zum Beispiel nicht meine Aufgabe, hier ein wenig Cashquote aufzubauen und dort dann wieder zu reduzieren. Verluste passieren in diesem Kontext, in dem die Märkte schwanken, es war noch nie ratsam für einen Anleger, aktionistisch auf jedes kleine Gewitter an den Börsen zu reagieren. Das ist konsequent, aber keine Allwetterlösung.

Dann hoffen wir, dass der nächste Sturm überschaubar ausfällt. Wir danken Ihnen für Ihre spannenden Ausführungen.


Das Interview führte Tobias M. Karow.

Hinweis: Der Raiffeisen-Nachhaltigkeits-Mix ist seit 2017 mit dem Transparenzbericht ausgestattet. Sie finden diesen sowie die kompakte E-Version hier hinterlegt.